Karl-Heinz Kraemer |
Nepals Politik nach dem Palastmassaker Aufbruch oder Rückkehr zum Alltag? (unveröffentlichtes Paper, ursprünglich geschrieben für Nepal Information 88, Dezember 2001)) Als Sher Bahadur Deuba Ende Juli 2001 das Amt des Premierministers übernahm, überraschte er mit einer Reihe positiver Ansätze. Rasch und gezielt griff er einige der gravierendsten Probleme des Landes auf, an deren auch nur ansatzweiser Lösung seine Vorgänger mehr oder weniger kläglich gescheitert waren. Doch bereits im Verlauf der ersten beiden Monate seiner Regierungszeit mußte er viele der gesetzten Ziele zurückschrauben. Zu groß war der Druck, dem sich der Premierminister ausgesetzt sah. Und je mehr er diesem Druck nachgab, desto mehr näherte sich Deuba jenem Bild, das er Mitte der 90er Jahre während seiner ersten Amtszeit abgegeben hatte, als er durch ständige Kompromisse seine damalige Koalitionsregierung am Leben erhalten mußte. Die jetzt vorgenommene Erweiterung des Ministerrats von 13 auf für ein so armes Land wie Nepal völlig untragbare 41 Personen besitzt Symbolcharakter. Dialog mit den Maoisten Als ein ganz besonderes Verdienst Deubas ist die Einleitung eines Dialogs mit den Maoisten zu nennen. Bereits vor seiner formellen Vereidigung unterbreitete Deuba ein entsprechendes bedingungsloses Angebot an die maoistischen Führer, das von diesen umgehend angenommen wurde. Bisher ist es zu zwei Treffen zwischen der Regierung und Vertretern der Maoisten gekommen, ohne daß dabei ein greifbares Ergebnis herausgekommen ist; man befindet sich noch immer in einem Stadium des Abtastens. Eines hat die beiderseitige Dialogbereitschaft jedoch bewirkt: Es ist deutlich friedlicher geworden in Nepal. Im Umfeld des Dialogs haben beide Seiten weitgehend auf Gewaltaktionen verzichtet und Gefangene freigelassen. In den Monaten zuvor hatte sich eher eine Eskalation des Konflikts angedeutet, wobei vor allem die Maoisten immer brutaler und militanter vorgingen. Waren noch bis vor einem Jahr wesentlich mehr Menschen durch Polizeimaßnahmen getötet oder verletzt worden, so dürften sich die statistischen Zahlen seit dem maoistischen Anschlag auf die Polizeistation von Dunai (Dolpa) im vergangenen Jahr zunehmend angenähert haben. Markant ist in diesen Tagen der offensichtliche "Machtverlust der maoistischen Führer" (Zitat Kanak Dixit). Unmittelbar nach dem Palastmassaker vom 1. Juni hatte es noch so ausgesehen, als wüßten die Maoisten auch aus dieser neuen politischen Situation den besten Nutzen zu ziehen. Doch seit der weitgehenden Einstellung militanter Aktionen und dem Beginn des Dialogs mit der Regierung haben die maoistischen Parolen deutlich an Durchschlagskraft verloren. Dies mag damit zusammenhängen, daß die maoistischen Führer auf einmal quasi Beteiligte sind an friedlichen Gestaltungsüberlegungen des zukünftigen Nepal; für die bisherige militante Art der Kritik ist bei einem solchen Dialog kein Platz mehr. Andererseits aber hat auch Premierminister Deuba mit seinen diversen positiven Ansätzen einige der wichtigen maoistischen Kritikpunkte aufgegriffen und so wesentliche Argumente der Maoisten zumindest vorübergehend entschärft. Aber auch weltpolitische Ereignisse zeigen ihre Auswirkungen. Die Ereignisse des 11. September in New York und der von den Amerikanern als Vergeltung begonnene Krieg am Rande Südasiens wirken auch bis in die Innenpolitik Nepals hinein. Zwar hat der amerikanische Vertreter in Kathmandu erst kürzlich erklärt, die nepalischen Maoisten seien keine wirklichen Terroristen (Kathmandu Post, 23.10.2001), aber die nepalische Regierung sieht sich angesichts der Terroranschläge in den USA im Schulterschluß mit den USA. Unterstützung findet sie ferner durch die indische Regierung, welche die nepalischen Maoisten erstmals als Terroristen bezeichnete (People’s Review, 11.10.2001). So hat die Deuba-Regierung im Augenblick gewisse Vorteile gegenüber den Maoisten, doch dürfte dieser Vorsprung dahinschwinden, wenn sich die Gespräche weiterhin verzögern. Auch die Dauer und die Folgen des amerikanischen Krieges in Afghanistan werden ihre Auswirkungen auf den innernepalischen Dialog haben. Ganz entscheidend aber wird sein, ob Regierung und Maoisten in den wirklich strittigen Fragen, wie denen der Staatsform oder der Verfassung, einen Ausweg finden, der für alle Beteiligten tragbar ist. Im Augenblick sieht es danach jedoch nicht aus. Monarchie Einer der gravierendsten Streitpunkte ist zweifelsohne die maoistische Forderung nach der Abschaffung der Monarchie. Die beinahe Selbstauslöschung der Shah-Dynastie im Juni hatte den entsprechenden Forderungen neuen Auftrieb gegeben. Der neue König Gyanendra sah sich einer sehr schweren Aufgabe gegenüber. Er mußte nicht nur das Unfaßbare einigermaßen erklären, sondern er mußte auch selbst Vertrauen bei der nepalischen Bevölkerung gewinnen. Natürlich ist es noch viel zu früh für eine diesbezügliche Bewertung. Auffällig sind jedoch häufige Stellungnahmen König Gyanendras auch zu politischen Themen, in denen er seinen Willen zu einer aktiven Rolle des Monarchen zum Ausdruck bringt, in denen er sich aber auch wiederholt für die Beibehaltung der bestehen Verfassung ausspricht. Daß er gegen die maoistische Forderung nach der Einführung einer Republik ist, versteht sich von selbst. Als ein weiterer positiver Aspekt ist hervorzuheben, daß Gyanendra bei den drei turnusmäßig von ihm zu nominierenden Oberhausabgeordneten eine Sherpa-Frau, Yankila Sherpa, berücksichtigt hat. Dies ist in doppelter Weise symbolhaft: ethnische Gruppe und Frau. Noch schwieriger als die Festigung der eigenen Stellung, die Gyanendra durchaus zuzutrauen ist, ist die Frage nach der Weichenstellung für die Zukunft der nepalischen Monarchie. Viele Optionen blieben nach der drastischen Verkleinerung der Königsfamilie infolge des Massakers nicht. Normalerweise ist es selbstverständlich, daß der älteste Sohn eines Königs zum Thronfolger ernannt wird, doch der einzige Sohn Gyanendras, Prinz Paras, hatte in der Vergangenheit durch zahlreiche Eskapaden für zu viel Wirbel gesorgt, als daß König Gyanendra ihn direkt zum Kronprinzen hätte ernennen können. Es überraschte dann allerdings, daß Gyanendra diesen Schritt bereits am 26. Oktober dennoch vollzog. Der Zeitpunkt war sicherlich sehr geschickt gewählt, da die nepalische Presse wegen des Dasain-Festes ihre übliche Redaktionspause eingelegt hatte, d. h. vor allem die kritischen Wochenzeitungen würden erst zwei Wochen später darüber berichten können. Internationale Pressereaktionen ließen jedoch nicht lange auf sich warten; sie orientierten sich an der Vergangenheit des Prinzen und waren entsprechend negativ (siehe "Crown prince: a royal Dashain gift", Newslook Magazine, 26.10.2001, http://www.newslookmag.com/exclusives/paras_cp.htm und weitere dort zitierte Artikel). Landreform Deubas zweiter großer Reformansatz galt dem Landbesitzrecht. Seit rund 50 Jahren bemüht sich der nepalische Staat, zumindest verbal, die historisch, gesellschaftlich und kulturell bedingten Ungleichheiten hinsichtlich des Landbesitzes zu beheben. Alle bisherigen Versuche wurden von langer Hand vorbereitet und angekündigt, so daß die besitzenden Kreise stets rechtzeitig gesetzliche Schwachstellen ausnutzen konnten, um ihren Besitzstand zu wahren. Premierminister Sher Bahadur Deuba überraschte nun alle mit einem sofortigen Verbot der Landveräußerung. Für die Einführung eines Gesetzes hatte er zunächst die Unterstützungen aller linken Parteien sowie der Mehrheit seines Nepali Congress. Teile des Nepali Congress, die konservative National Democratic Party (NDP), die Nepal Sadbhavana Party (NSP), also eine Partei aus dem Tarai, wo der meiste Großgrundbesitz angesiedelt ist, und die landbesitzende Klasse liefen Sturm gegen diese Politik und klagten vor dem Obersten Gerichtshof. Am 31.08.2001 legte die Regierung einen Gesetzentwurf zur Landreform vor, gab gleichzeitig aber dem großen Druck nach und hob das Landveräußerungsverbot wieder auf. In der Folge bemühten sich die Großgrundbesitzer um eine rechtzeitige Aufteilung ihres Besitzes. (Für weitere Informationen hierzu und zum Landbesitzrecht im allgemeinen verweise ich auf einen entsprechenden Artikel von Dr. Wolf Donner in diesem Heft) Frauenrechte Seit Jahren kämpfen die Frauen in Nepal für eine gesetzliche Gleichbehandlung mit Männern hinsichtlich des Besitz- und Erbrechts. Hintergrund für die untergeordnete Stellung der Frauen sind entsprechende kulturelle und soziale Denk- und Wertvorstellungen, die für den von Männern dominierten Hindustaat Nepal prägend sind. Bereits vor dem jüngsten Regierungswechsel deutete sich erstmals eine Änderung der gesetzlichen Regelungen an. Konservative Hindu-Organisationen sahen darin eine Bedrohung und riefen zum Protest auf. Die Diskussionen über den Dialog mit den Maoisten und das Landbesitzrecht drängten jedoch das für die Frauen so wichtige Thema erneut in den Hintergrund. Erst gegen Ende der jüngsten Sitzungsperiode des Parlaments wurde vom Repräsentantenhaus mit der 11. Änderung des muluki ain ein Gesetz verabschiedet, das den Frauen ein wenig mehr Rechte garantiert als zuvor, das aber von einer rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern noch Welten entfernt ist. Erneut setzten sich in der Regierungspartei des Nepali Congress jene konservativen Kräfte durch, die ein dauerhaftes Erbrecht nur Männern zugestehen wollen. Frauen sollen nur ein Erbrecht haben, das bis zu ihrer Eheschließung gilt; danach müssen sie ihren Erbteil zurückgeben. Die wesentliche Änderung gegenüber dem bisherigen Recht besteht darin, daß den unverheirateten Frauen bereits ein Erbanspruch zugestanden wird, wenn sie erwachsen werden und nicht erst nach dem Erreichen des 35. Lebensjahres. Die Opposition sah hierin ein Abweichen der Regierungspartei von ihren ursprünglichen Versprechungen. Mit ihrer Mehrheit im Oberhaus wurde die Gesetzesänderung daher vorläufig gestoppt. Die Entscheidung wurde auf die nächste Sitzungsperiode vertagt. Es ist zu befürchten, daß diese Gesetzesänderung, die bereits seit 6 Jahren diskutiert wird, einen ähnlichen Weg gehen wird wie der Versuch, die Benachteiligungen der Frauen im Staatsangehörigkeitsrecht zu beseitigen. (Siehe hierzu gesonderten Beitrag in diesem Heft sowie die Stellungnahme von Kanchan V. Lama) Etwas untergegangen ist bei der ganzen Diskussion um das Erbrecht, daß diese Gesetzesänderung auch eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts beinhaltet. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche, im Falle einer Schwangerschaft aufgrund von Inzest oder Vergewaltigung sogar bis zur 18. Woche, soll in Zukunft eine Abtreibung erlaubt sein. Bei einer Gefahr für das Leben der Mutter soll ein Schwangerschaftsabbruch immer möglich sein. Bisher war Abtreibung grundsätzlich verboten; viele Frauen sitzen deswegen über viele Jahre in Gefängnissen. Ziel des Gesetzes ist es, die hohe Sterberate der Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaften zu reduzieren. Gleichzeitig sieht das Gesetz eine Strafe vor, wenn ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Geschlechtsbestimmung des Fötus durchgeführt wird. Partizipation Mit der Demokratisierung des Landes im Jahre 1990 hatte eine Bahunisierung der Politik eingesetzt, d. h. Brahmanen besetzten in einem Umfang Positionen in staatlichen und politischen Bereichen, der in krassem Widerspruch zu ihrem relativ geringen Bevölkerungsanteil von nur gut 12% stand. Ursächlich hierfür ist wohl die Tatsache, daß die politischen Parteien, in deren Hände die Macht im Jahre 1990 überging, durchweg von Brahmanen dominiert werden; dies gilt für fast alle Parteien des Landes und ist selbst bei den linken Parteien, einschließlich der Maoisten, besonders ausgeprägt. Nicht selten kam es vor, daß die Ministerposten zur Hälfte mit Brahmanen besetzt waren. Ethnische Gruppen fanden meist nur als Staats- oder Assistenzminister eine Pseudobeteiligung. Unter keinem Premierminister war dies so ausgeprägt wir unter Girija Prasad Koirala. Der Wandel, der sich schon mit dem vorläufigen 13köpfigen Ministerrat Deubas im Juli angekündigt hatte, fand bei der extremen Erweiterung des Ministerrats am 18. Oktober seine Fortsetzung (siehe Ministerliste in diesem Heft). Die dominierende Gruppe sind nicht mehr die Bahun (11 Minister) sondern die Chetri (16 Minister). Ob dies wohl damit zusammenhängen mag, daß Deuba selbst ein Chetri ist, mag dahingestellt bleiben. Wir haben damit jedenfalls wieder Relationen, die man aus der Panchayat-Zeit kannte. Die übrigen 14 Ministerposten verteilen sich auf Angehörige einiger ethnischer Gruppen bzw. Tarai-Gruppen. Auffällig ist allenfalls die Anzahl von 4 Tharus, allerdings allesamt Angehörige einer Tharu-Oberschicht, die sich in der Rana-Zeit aufgrund besonderer Funktionen herausbildete. Markant ist auch, daß nur noch zwei Angehörige der hinduistischen Newar-Oberschicht beteiligt sind, die in früheren Jahren die drittstärkste Gruppe nach Bahun und Chetri gewesen war. Auch die Frauen kommen wieder zu kurz, bei nur 17 weiblichen Abgeordneten (12 im Repräsentantenhaus, 5 in der Nationalversammlung) sicherlich nicht verwunderlich. Nicht einmal das Frauenministerium wird von einer Frau geleitet, sondern von einem männlichen Brahmanen. Lediglich zwei Frauen haben als Staats- bzw. Assistenzminister Aufnahme in den Ministerrat gefunden, Sushila Swanr und Sabitri Bogati, beide Chetri. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, daß Dalits, wie immer, nicht beteiligt wurden. Dennoch galt auch ihnen einer der diversen positiven Ansätze der Deuba-Regierung. Trotz der gesetzlichen Abschaffung der Unberührbarkeit im Jahre 1963 hat sich im Alltag bis heute nämlich wenig für die als "unberührbar" geltenden Menschen geändert. Ursächlich hierfür ist insbesondere die Beibehaltung des Hindustaates trotz einer multiethnischen Gesellschaft und die Dominanz der "hohen" Hindukasten in allen wichtigen Lebensbereichen. Abweichend von den bisherigen Lippenbekenntnissen der Politiker möchte Premierminister Deuba jetzt erstmals tatsächliche Änderungen erreichen. Ein erster Beginn war die Erzwingung des Zutritts von Dalits zu ihnen bisher verschlossenen Hindu-Tempeln. Die Reaktionen von konservativen Angehörigen hoher Hindu-Kasten belegen deutlich, wie sehr das Kastendenken im Alltag noch präsent ist. Opposition Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf die Oppositionsparteien erlaubt. In der Folge des Palastmassakers vom 1. Juni 2001 und im Vorfeld eines möglichen Dialogs zwischen Staat und Maoisten zeichneten sich Einigungsbestrebungen der Linksparteien ab. Die einstige Nepal Communist Party hat sich seit den frühen 1960er Jahren immer weiter aufgespalten. Von dieser Tendenz blieb auch die bedeutendste linke Partei der 1990er Jahre, die CPN-UML, nicht verschont. In diesen Wochen bemühen sich nicht nur die CPN-UML und die 1998 von ihr abgespaltene CPN-ML um eine neue Einheit, sondern auch die meisten anderen kommunistischen Splittergruppen, beteiligen sich an diesem Dialog. Selbst die CPN (Maoist) hat ein gewisses Interesse bekundet. Eine tatsächliche Einheit des linken Parteienspektrums erscheint im Augenblick noch in weiter Ferne. Das größte Problem liegt wohl darin, daß in erster Linie weniger ideologische Differenzen als politische Machtbestrebungen einzelner Parteiführer ursächlich gewesen sind für viele der zahlreichen Spaltungen der linken Parteien. Der derzeitige Dialog dieser Parteien zeigt jedoch, daß die linken Parteien erkannt haben, daß die eigentliche Opposition zunehmend eine außerparlamentarische geworden ist, repräsentiert von der CPN (Maoist). Die Entwicklung des Dialogs zwischen Regierung und Maoisten wird daher auch entscheidende Auswirkungen auf einen möglichen Einigungsprozeß der etablierten Linksparteien haben. (Für weiterführende Informationen verweise ich auf meine Presseauswertungen im Internet: http://nepalresearch.com/politics/) |
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