Karl-Heinz Kraemer |
Gescheiterte Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Falscher Ansatz oder mangelnder Wille? In: Nepal Information, 88:149-152 Rund ein Jahr lang haben Politiker und Parteien in Nepal um eine Vereinfachung des Staatsangehörigkeitsrechts gerungen. Hintergrund war zum einen der seit langem erklärte politische Wille, eine klarere und einfachere Regelung für die Menschen indischer Abstammung (Madhesi) zu finden, die im nepalischen Tarai zu Hause sind und zum großen Teil bis heute nicht als Staatsbürger anerkannt sind. Auf der anderen Seite aber wollte man auch die Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts ausräumen, die dem nepalischen Staatsangehörigkeitsrecht seit seiner Festlegung anhaften. Obgleich die Grundlagen des nepalischen Staatsangehörigkeitsrechts in der Verfassung verankert sind, glaubte die nepalische Regierung, Verbesserungen allein durch eine Änderung des nachgeordneten Staatsangehörigkeitsgesetzes zu erreichen und die Verfassung dabei unangetastet zu lassen. Ein erster entsprechender Gesetzesentwurf wurde am 11. Juni 2000 im Repräsentantenhaus mit den Stimmen von Regierung und Opposition einstimmig verabschiedet. Doch schon zwei Tage später bei der Diskussion im Oberhaus gab es kritische Stimmen, und die Gesetzesvorlage wurde schließlich an das Repräsentantenhaus zurückverwiesen. Da die Regierung die Gesetzesvorlage als "finance bill" deklariert hatte, stand dem Oberhaus eine mögliche Abänderung des Textes nicht mehr zu. Diskutiert wurde fortan nur noch über die mit der geplanten Gesetzesänderung angeblich ermöglichte Unterwanderung Nepals durch eine unkontrollierbare Einbürgerung indischstämmiger Bevölkerung. Der zweite Hintergrundgedanke der geplanten Gesetzesänderung, die rechtliche Gleichstellung der Frauen, spielte keine Rolle mehr. Auch im Repräsentantenhaus hatte der Änderungsvorschlag inzwischen die Zustimmung der Opposition verloren. Dennoch wurde die 6. Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes am 26. Juli 2000 mit den Stimmen der Abgeordneten des regierenden Nepali Congress verabschiedet. Als die Gesetzesvorlage im Januar 2001 König Birendra zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, entschloß sich dieser angesichts des großen öffentlichen Drucks und der massiven Kritik aus juristischen Kreisen, entsprechend Artikel 88 (5) der Verfassung den Obersten Gerichtshof um Rat zu bitten. Wie zu erwarten, teilte der Oberste Gerichtshof am 24. April 2001 König Birendra mit, die Gesetzesvorlage verstoße gegen die entsprechenden Regelungen der Verfassung.
Grundlage des nepalischen Staatsangehörigkeitsrechts sind die Artikel 8 und 9 der Verfassung von 1990. Nach Artikel 8 galten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung alle in Nepal lebenden Personen, welche die Auflagen des Artikels 7 der Panchayat-Verfassung von 1992 sowie des Teils 3 des Nepal Citizenship Act von 1964 erfüllten, als nepalische Staatsbürger. Gleiches Recht genossen Personen, die nach den Vorschriften des Teils 6 des Staatsangehörigkeitsrechts von 1964 eingebürgert worden waren. Artikel 9 regelt Erwerb und Beendigung der nepalischen Staatsangehörigkeit nach dem 9. November 1990. Hier differenziert die Verfassung aus unterschiedlichen Perspektiven nach dem Geschlecht der Person. Nach Absatz 1 haben Personen, die nach diesem Datum geboren wurden, nur dann ein Anrecht auf die nepalische Staatsangehörigkeit, wenn ihr Vater zum Zeitpunkt ihrer Geburt bereits die nepalische Staatsangehörigkeit besessen hat. Frauen werden offensichtlich nicht als vollwertige Staatsbürger angesehen. Daher haben die Kinder nepalischer Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind, kein Anrecht auf die nepalische Staatsangehörigkeit. Diese Differenzierung verstößt nicht nur gegen internationales Recht, sondern auch gegen Artikel 11 der Verfassung, wonach alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht rechtlich gleich zu behandeln sind. Den einzigen Anhaltspunkt für eine rechtliche Grundlage bietet Artikel 4 (1) der Verfassung, der Nepal zum Hindustaat erklärt, denn nach hinduistischer Denkweise sind Frauen Menschen zweiter Klasse. Artikel 9 (2) sieht für Findelkinder die vorläufige Anerkennung der nepalischen Staatsbürgerschaft vor, die jedoch endet, wenn sich eines Tages herausstellt, daß der Vater dieses Findelkindes nicht nepalischer Staatsbürger war. Auch hier ist die Staatsangehörigkeit der Mutter nicht von Bedeutung, d.h. solchen Kindern wird selbst dann später das Recht auf die nepalische Staatsangehörigkeit abgesprochen, wenn sich herausstellt, daß ihre Mutter Nepalesin war. Der gleiche Denkansatz liegt dem ersten Teil von Artikel 9 (5) zugrunde, der die mögliche Einbürgerung ausländischer Ehepartner von nepalischen Staatsangehörigen regelt. Für ausländische Ehefrauen nepalischer Männer ist ein problemloser Erwerb der nepalischen Staatsangehörigkeit vorgesehen, wenn sie auf ihre ausländische Staatsangehörigkeit verzichten. Für ausländische Ehemänner nepalischer Frauen gibt es eine derartige Regelung nicht. Unkompliziert gestaltet sich nach Absatz 5 auch der Wiedererwerb der früher einmal abgelegten nepalischen Staatsangehörigkeit bei Ablegung der ausländischen Staatsangehörigkeit, wobei Männer und Frauen ausnahmsweise gleichbehandelt werden. Für alle anderen Personen, also auch für die ausländischen Ehemänner nepalischer Frauen, überläßt die Verfassung die Details nachgeordneten Gesetzen, legt aber in Artikel 9 (4) bereits vier Bedingungen für den Erwerb der nepalischen Staatsangehörigkeit fest:
Der Vollständigkeit halber seien noch ein paar Sonderregelungen des Artikels 9 genannt. So legt Absatz 3 fest, daß alle Bewohner eines Territoriums, das möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt einmal in den Staat Nepal eingegliedert wird, automatisch die nepalische Staatsangehörigkeit erhalten. Schließlich können Söhne und Töchter nepalischer Staatsangehöriger auch ohne Ausübung einer Berufstätigkeit nach einem Aufenthalt von mindestens zwei Jahren die nepalische Staatsangehörigkeit erwerben. Ausdrücklich ausgenommen von letzterer Regelung sind die Nachkommen eingebürgerter Personen.
Ungeachtet dieser deutlichen Regelungen der Verfassung glaubte die nepalische Regierung, Änderungen in das Staatsangehörigkeitsgesetz einfügen zu können, die den diesbezüglichen Vorschriften der Verfassung widersprechen. Selbst Abgeordnete der Nepal Sadbhavana Party (NSP), dem Sprachrohr der indischstämmigen Bevölkerung des Tarai, lehnten den Gesetzesentwurf wegen offensichtlichen Verfassungskonflikts ab und forderten statt dessen eine Änderung der Verfassung. Es ist dies nicht der erste Versuch, die konstitutionellen Regelungen zur Staatsangehörigkeit zu umgehen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen von 1991 versuchte der Übergangspremierminister Krishna Prasad Bhattarai (NC), alle Personen, die in den Listen des Referendums von 1979 aufgeführt waren, als nepalische Staatsbürger zu akzeptieren, auch wenn dies im Einzelfall im Widerspruch zur Verfassungsregelung stand. Premierminister Girija Prasad Koirala versuchte dasselbe vor den lokalen Wahlen von 1992. In beiden Fällen sprach der Oberste Gerichtshof diesem Vorgehen die Rechtmäßigkeit ab (Keshab Poudel, Triggering Off Controversy, Spotlight, 04.08.2000). Auch Sher Bahadur Deuba sowie das Regierungsduo Lokendra Bahadur Chand und Bam Dev Gautam bemühten sich später vergeblich um Änderungen. Das Hauptproblem für die Hitzigkeit, mit der die diesbezügliche Debatte in den vergangenen Monaten geführt wurde, liegt in ihrer extremen Politisierung. So sieht der Entwurf beispielsweise vor, daß unabhängig vom Geschlecht jede Person die nepalische Staatsangehörigkeit beantragen kann, wenn eingebürgerte Nepali sie als Bruder oder Schwester ausweisen; die Abstammung, genauer gesagt, die nepalische Staatsangehörigkeit des Vaters, soll also nicht mehr Voraussetzung sein. Weist der Chief District Officer (CDO) einen solchen Antrag zurück, so soll nach dem Entwurf innerhalb von 35 Tagen die Anrufung eines Revisionsgerichts möglich sein. (Stirring the Hornet’s Nest, Spotlight, 23.06.2000) Kritiker sehen hierin einen Freibrief für Inder, Pakistaner, Bhutaner, Bangladeshi und Tibeter, die nepalische Staatsangehörigkeit zu erlangen. Derartige Bedenken sind sicherlich zum Teil begründet, schließlich wird allein die Zahl der im Tarai lebenden indischstämmigen Bevölkerung auf fast 4 Millionen geschätzt (Interview mit Kusum Shrestha, Spotlight, 01.12.2000). Andererseits ist es aber dringend erforderlich, die Staatsangehörigkeit dieser Menschen dauerhaft zu klären. Die Frage der Staatsangehörigkeit der nepalischen Tarai-Bevölkerung weist nämlich zahlreiche historische und strukturelle Parallelen zum Problem der Staatsangehörigkeit der nepalischstämmigen Bevölkerung Bhutans auf. Jüngere indisch-nepalische Vereinbarungen machen eine Regelung besonders dringlich. So ist es beispielsweise bei Flugreisen zwischen Nepal und Indien seit einiger Zeit erforderlich, daß die Reisenden einen Personalausweis mitführen müssen. Der indischstämmigen Bevölkerung wird ein solcher aber sowohl von Nepal als auch von Indien versagt, d. h. sie können nicht mehr auf dem Luftweg zwischen beiden Staaten reisen (siehe Interview mit Hridayesh Tripathy, NSP, Spotlight 08.09.2000). Bei derartigen Diskussionen werden jedoch sehr naheliegende Probleme in den Hintergrund gedrängt, die den eigentlichen Anlaß für die Gesetzesvorlage lieferten. So ist der Besitz eines Personalausweises in Nepal, anders als in Deutschland, nicht bindend. Viele Nepali, besonders der älteren Generation, haben sich nie einen derartigen Ausweis ausstellen lassen. Nicht selten haben ihre Nachkommen nach dem Tod der Eltern Schwierigkeiten, ihre nepalische Abstammung nachzuweisen.
Durch diese ganze Diskussion ist die Behebung eines Unrechtstatbestands, der 1990 in die Verfassung aufgenommen wurde, leider völlig untergegangen: die rechtliche Diskriminierung der Frauen. Regierung, Opposition, kritische Juristen, König und Oberster Gerichtshof, sie alle haben es versäumt, die Gelegenheit zu nutzen und die Beendigung der in der Verfassung verankerten Diskriminierung der Frauen einzufordern. Statt dessen zeigen die in den vergangenen Monaten immer wieder getroffenen Aussagen führender Politiker und Juristen, einschließlich des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes, Änderungen der Verfassung seien nicht notwendig, daß die Diskriminierung der Frauen in Nepal ganz offensichtlich als rechtmäßig hingenommen wird. Aufbauend auf dieser Denkweise werden die Frauen in zahlreichen untergeordneten Gesetzen und Verordnungen nicht als vollwertige Bürger behandelt. Im engen Zusammenhang mit dem Staatsangehörigkeitsrecht ist es Frauen seit einiger Zeit beispielsweise verwehrt, ihre Kinder im Reisepaß einzutragen; ein solches Recht steht nur den Vätern zu. Hierdurch werden Frauen in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt; das Reisen mit den Kindern ist nur möglich, wenn sie sich in Begleitung ihres Ehemannes befinden. In diesen Rahmen passen auch allgemeine staatliche Behinderungen bei Reisen von Frauen. Die Liste der gesetzlichen Diskriminierungen läßt sich fast endlos fortsetzen. So kennt das nepalische Recht diverse Regelungen, die dem Mann das Recht auf automatische Scheidung oder erneute Heirat ohne Scheidung geben. Auch die Geburt ihres Kindes kann eine Frau nicht registrieren lassen. Dies darf nur ein Mann, entweder der Vater des Kindes oder der männliche Familienvorstand. Die Aufzählung von Diskriminierungen der Frauen allein im Besitzrecht würde Seiten füllen. Seit Jahren wird in Parlament, Presse und Öffentlichkeit darüber diskutiert, ohne daß eine Bereitwilligkeit zu Änderungen deutlich wird. Auch im nepalischen Strafrechte finden sich zahlreiche Ungleichbehandlungen von Mann und Frau. All dies sind klare Verstöße gegen Artikel 11 der Verfassung. Nach Artikel 131 der Verfassung sind alle diese Gesetze seit dem 9. November 1991 nicht mehr gültig. Dort heißt es nämlich, daß alle Gesetze, die im Widerspruch zur Verfassung stehen ipso facto ein Jahr nach der Verkündung der Verfassung ungültig werden. Aber dies scheint die männlichen Politiker und Juristen in Nepal offensichtlich nicht zu interessieren. Es mangelt wohl doch am Willen. |
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